17.02.12 18:15 Uhr Vereinsheim München
Schon im Säuglingsalter darf sich der werdende Staatsbürger an einem Spielzeug freuen, das in besonderer Weise bürgerliche Wunschtugenden erlebbar macht: Das Stehaufmännchen wird seit jeher von tausenden Schicksalsschlägen infantiler Patschehändchen umgeworfen und hat doch anschließend sofort wieder den Kopf oben … um klaglos den nächsten Schlag einzusammeln. Irgendwann kommen die Heranwachsenden dahinter, dass nicht ein sonniger Optimismus, sondern eine geschickt gewählte Lage seines Schwerpunkts das Männchen wieder aufrichtet und es sich also mit einem Gegengewicht auch in ein Fall-um-Männchen entsteht, das wesentlich empfindsamer auf die Zumutungen seiner Umwelt reagiert. Mit etwas Kenntnis der Mechanik lässt sich schließlich auch ein Ist-mir-doch-scheißegal-Männchen basteln, das ganz einfach antrieblos in jeder Schieflage verharrt.
Damit hat der junge Mensch dann gleich die drei Formen des stabilen, labilen und indifferenten Gleichgewichts kennen gelernt und beginnt zu begreifen, dass es womöglich im Leben Dinge gibt, die sich nicht von allein in der richtigen Weise einrichten, sondern unter Einsatz von Energie (vulgo: Aufwand) eingestellt werden müssen. Denn ganz gleich ob im menschlichen Zusammenleben oder im Dampfkessel eines Kernkraftwerks: Überall gibt es Werte (z.B.: Kopf hoch!), die bitteschön eingehalten und Grenzen (z.B. 325 °C bei 160 Bar im Primärkreis), die um Himmels willen nicht überschritten werden sollen.
Der lebenspraktische Physiker reagiert auf solche Herausforderungen nicht mit abgehobenen Ethikdebatten, sondern konstruiert einen Regelkreis. Der wird am Eingang mit einem herbeigewünschten Sollwert gefüttert, dem der am Ende stehende tatsächliche Istwert gefälligst identisch sein soll. Zu diesem Zweck werden Wunsch und Wirklichkeit über eine Rückkopplung zum Kreis verbunden und auf Grundlage der Diskrepanz erzieherische Maßnahmen eingeleitet. Leider ist aber selbst im Regelkreis beileibe nicht immer alles geregelt: Wer allzu streng maßregelt, erlebt die Reglerschwingung – eine putzig klingende Vokabel, die allerdings in der Praxis schon mal den Exitus einer kompletten Dampfturbine bedeuten kann. Wird aber mit der Erziehung getrödelt, dann werden die hehren Ziele des Sollwerts womöglich nie erreicht.
»Die Physik des Scheiterns« geht den Regeln des Regelns nach und hat dazu als Gastreferent Ludwig W. Müller (München/Wien) geladen. Der nämlich gilt spätestens seit seinem Soloabend „Der Paragrafenreiter“ als Koryphäe für Regel- und Wertesysteme, insbesondere in Bezug auf deren österreichisch-deutsche Nuancierungen. In der Rolle des „Rechtsanwalts Dr. Ferdinand Just“ beweist er eindrucksvoll, dass selbst – oder grade eben – inbrünstig-kompromissloses Einfordern von Regeln zu vollkommen ungeordneten Verhältnissen führen kann.